18. Oktober 2012_Wernigerode. Ganz schön schräg, das Schiefe Haus. Um sieben Grad neigt sich das Gebäude in der Klintgasse 5 über den Giebel zum einstigen Mühlgraben hin. Das sind drei Grad mehr, als der berühmte Schiefe Turm von Pisa hat. Das Schiefe Haus im Harz ist vielleicht nicht so bekannt, aber dennoch eine echte Attraktion und ein Pilotprojekt, das allen Teilnehmern der Fachwerktriennale Mitte Oktober das Gefühl der Sinnestäuschung hautnah erleben ließ.
Für die Stadt und den Betreiber ist die Umnutzung der ehemaligen Walkmühle, die später zum Wohnhaus umgebaut und begradigt wurde, nicht nur Herausforderung, sondern vielmehr die Chance, den ältesten Teil der Stadt noch mehr in den Focus der Wernigeröder und ihrer Gäste zu rücken. Während der Veranstaltung ging man unter dem Motto „Das Schiefe Haus im Lot“ der Geschichte der alten Mühle buchstäblich Grad um Grad auf den Grund.
Für Baudezernent Burkhard Rudo ist es das auffälligste Gebäude und die Triennale 2012 bereits die zweite Veranstaltung dieser Art. „2009 war die Hofgestaltung schon ein Erfolg“, sagte Rudo vor etwa 20 Gästen. Damals öffneten die Wernigeröder 70 Höfe und erlaubten den Gästen einen Blick in Winkel, die eigentlich privat sind. Im Ergebnis brachte dieses Projekt dem 30.000 Einwohner-Ort einen Aufschwung von bis zu zwei Millionen Tagesbesuchern. Die Stadt, die dem Tourismus seit Jahrzehnten schmuckes Fachwerk, Bergwerksidylle und ein Schloss zu bieten hat, wurde auf einen Schlag um viele Attraktionen reicher.
Wernigerode war damit eine der erfolgreichsten Städte der Triennale 09. „Das Wirgefühl bei den Bürgern wurde gestärkt“, sagte Prof. Manfred Gerner, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. aus Fulda. Das aktuelle Triennaleprojekt habe die Stadt vom großen Kummer mit dem Schiefen Haus dank einer Idee des Kunstvereins befreit. Kluges Handeln in der Verwaltung, die das Klintviertel in kleine Projekteinheiten einteilte und nicht, wie ursprünglich geplant, an einen Großinvestor abgegeben hatte. So konnten in diesem Quartier private Investoren gefunden werden, die gehobene Gastronomie und Ferienwohnungen schufen, ein Renaissance-Fachwerkhaus wurde zum Wohnhaus umgebaut und finanziert das Schiefe Haus mit. In dessen Erdgeschoss ist ein Jugendcafe, die Fortsetzung eines Jugendclubs, der zu DDR-Zeiten Kult war. Ansonsten ist das Schiefe Haus jetzt ein Museum, nicht begradigt sondern in den Ursprung zurückversetzt, aber im Lot, was seine Geschichte angeht.
1356 wurde an diesem Standort die Teichmühle erwähnt, diese wurde 1632 an Lohgerber und Tuchmacher verkauft. Das zweigeschossige Gebäude mit hohem Keller und Krüppelwalmdach wurde um das Jahr 1672 erbaut, hat viele gekreuzte Streben, die den zentnerschweren Holzhämmern der Walkmühle Stand halten mussten. Die Holzkonstruktion hat ihrer Aufgabe alle Ehre gemacht, nur die ein Meter starken Fundamentsteine im Kellerbereicht sackten ab, weil das Wasser des Mühlgrabens sie mit den Zeit unterspülte. Das war das Besondere an diesem Gebäude und diesem Standort, doch genau das wurde durch Umbauten im Innenbereich versteckt hinter begradigten Decken, Wänden und Böden, als die Walkmüller ihre Arbeit einstellten und das Haus zum Wohnhaus wurde.
Erst mit der Idee der Kulturstiftung mit Rainer Schulze an der Spitze, das historische Gebäude als Museum zu nutzen und ein Modell zu entwickeln, bei dem der Stadt keine Betriebskosten entstehen, kam reichlich Wasser auf die Amtsmühlen.
Dipl.-Ing. Elke Weinrich vom Ingenieurbüro für Bauplanung erklärte vor Ort, warum die Abkopplung vom Nachbargebäude wichtig wurde, dass eine Betondecke in der Mitte des Gebäudes als Gegengewicht verborgen liegt, die Stahlstreben unterm Dach verankert sind und die Betonfundamente ein weiteres Absinken verhindern sollen. Einige Maßnahmen seien kurzfristig während der Bauphase entschieden worden.
„Die Funktion folgte hier der Form“, sagte Bauamtsleiterin Gerlinde Brammer. Es habe eine „gleitende Planung und Bauausführung“ gegeben. Dabei wurden Elektroinstallationen verdeckt angebracht und  eine Sockelheizung eingebaut, die im Haus ohne Wärmedämmung eine gute Temperatur und ein gutes Raumklima schuf. Im Schulterschluss mit Handwerkern und Denkmalschutz sei das gelungen. „Es gab keinen Umbau, sondern einen Rückbau“, so Brammer.
Das Museum zählte seit der Eröffnung im März etwa 12.000 Besucher, diese fanden es laut Gästebuch „sehr schräg“ und außer der Treppe und der Eingangstür ist tatsächlich alles im Haus schräg. Dass es „noch viele schräge Jahre erleben möge“, ist zu lesen. Und wenn die Hausherren darauf achten, das Haus vor dem zu bewahren, was das Mühlrad einst antrieb, kann dort nichts mehr schief gehen.