8. November 2012_Wolfhagen. Steigende Energiekosten, sinkende Bevölkerungszahlen, durch den demografischen Wandel soll Deutschland bis 2050 etwa 12 Millionen Bürger verlieren. Vor allem die Fachwerkstädte müssen Wohnstandards anpassen und bezahlbare Energie in dicht bebaute denkmalgeschützte Bereiche bringen. Wie das gehen kann, wird in Wolfhagen über fünf Jahre erforscht.
„Günstige Energie lässt dem Bürger mehr Geld für die Erhaltung von Fachwerkhäusern“, eine wahre Aussage, die Prof. Manfred Gerner von der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. (ARGE) in Wolfhagen machte, denn dort könnten günstige Energie und Energieeffizienz nicht nur für diese Stadt große Auswirkungen haben.
Wolfhagen hat sich auf die Fahnen geschrieben, bis 2015 seinen Energieverbrauch zu einhundert Prozent aus Erneuerbaren Energien zu speisen. Zudem sollen energetische Gebäudesanierung und Elektromobilität die Stadt zukunftsfähig machen. Das zu erreichen, stellt sie sich für Forschungszwecke zur Verfügung, wurde mit 13.800 Einwohnern in elf Stadtteilen als kleinste von fünf Modellkommunen Deutschlands in den Wettbewerb „Energieeffiziente Stadt“ gewählt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Gesamtprojekt mit fünf Millionen Euro, von denen für die Forschung zur energetischen quartierbezogenen Gebäudesanierung 1,5 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Parallel dazu stehen Mittel des hessischen Förderprogramms „Aktive Kernbereiche“ zur Verfügung, die zur konkreten Umsetzung von Baumaßnahmen im Altstadtbereich Wolfhagens genutzt werden können. Beteiligt sind neben der Stadt Wolfhagen die Stadtwerke Wolfhagen GmbH, das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP), die Energieagentur Energie 2000 e. V. und das Zentrum für Umweltbewusstes Bauen e.V. (ZUB).
Geboren wurde dieses Vorhaben während der Fachwerktriennale 2009, seit dem beraten die ARGE und das Begleitbüro Projektgruppe Stadt und Entwicklung aus Leipzig die Nordhessen. Während der Triennale 2012 Anfang November in der Wolfhagener Stadthalle wurde das „deutschlandweit einzigartige“ Vorhaben diskutiert und über den Sachstand informiert. „Wir werden mit dem Bürger gemeinsam forschen“, sagte Bürgermeister Reinhard Schaake vor etwa 60 Gästen.
„Wir werden mit den Bürgern gemeinsam fünf Jahre lang forschen“, sagte Bürgermeister Reinhard Schaake während der Fachwerktriennale in der Stadthalle Anfang November. Es gehe nicht allein um neue Technologien, sondern um die Stadt als Gesamtsystem, so der Bürgermeister. Projekte, die sich wirtschaftlich selbst tragen, sollen angeschoben werden. Startschuss für die „Energie Offensive Wolfhagen – Den Wandel gestalten“ ist am 17. November mit der Eröffnung des Projektbüros in der Altstadt.
Michael Joost, Leiter des Bauamtes, Bereich Energie und Stadtentwicklung, erhofft sich eine „rege Teilnahme“ der Bevölkerung an der benötigten Datenerhebung. Die energetische Bestandsaufnahme stehe hierbei im Vordergrund. „Über 200 Gebäude sollen untersucht und die Ergebnisse jeweils per Exposé festgehalten werden“, sagte Joost. Damit jeder seinen Weg zur sinnvollen energetischen Sanierung finden und gehen könne, sei kostenlose Fachberatung geplant, so Joost. Im Idealfall sollen Quartierslösungen, Systeme zur Nahwärmeversorgung und attraktive Wohngebäude mit historischer Bausubstanz geschaffen werden.
„Ich erhoffe mir Nachhaltigkeit bei der Umsetzung eines energieeffizienten Fachwerkquartiers“, so der Bauamtsleiter. Denn gerade die energetische Sanierung von Fachwerkhäusern stellt eine besondere Herausforderung dar. Der Sanierungsstau sei erheblich, die Heizungsanlagen oft veraltet.
Das Sanierungsprojekt in Gang bringen, soll auch der Architekt Michael Bergholter. Mit engagierten Bauherren, ließen sich die Quartiere aber qualitativ hochwertig Umbauen, sagte er und forderte dafür stabile politische Beschlüsse und hohen Fördermittelabruf.
Dass Fachwerkhäuser bei der energetischen Sanierung eine besondere Herausforderung sind, blieb unter den Referenten und Fachwerkhausbesitzern unbestritten. Falsche oder fehlende Dämmstoffe, veraltete Heizungsanlagen oder einfach nur die Tatsache, dass der Hauseigentümer Dachboden und Kellerdecke nicht gedämmt habe, führe dort zu großen Energieverlusten, so Manfred Schaub von Energie 2000. „Der hydraulische Abgleich der Heizungsanlage spart 26 Prozent Energie ein“, sagte er weiter, darüber müsse der Bürger aufgeklärt werden.
Da Wolfhagen „sehr weit im Bereich der Stromversorgung durch regenerative Energien ist, könnte es den Sprung zur CO2-neutralen Stadt schaffen, sagte Christina Sager vom IBP. Nach dem Rückkauf der Stromnetze durch die Stadtwerke Wolfhagen GmbH, seien diese heute wirtschaftlich gut aufgestellt. Das Ziel, 2015 Strom zu einhundert Prozent aus regenerativer Energie zu liefern, würde 2013 schon erreicht. Dies bestätigte auch Bürgermeister Schaake, der hinzufügte, dass 35 Prozent der erzeugten Energie weiterverkauft werden könne. Christina Sager spricht Wolfhagen eine „hohe Relevanz“ in der Forschung zu, weil es energieeffiziente Fachwerkquartiere als Wohn- und Arbeitsstandort mit stark reduzierten Betriebskosten verspräche, dazu die Einbindung motivierter Bürger habe und die Versorgungslösungen des Modells auf viele weitere Fachwerkstädte übertragbar sei. Jetzt gelte es, die Sanierungsrate zu erhöhen, dabei altersgerecht zu planen und den Wohnstandard zu erhöhen.
Einige gelungene Beispiele energetischer Sanierung und Umnutzung historischer Häuser zeigte Friedhelm Meyer aus der Triennalestadt Hann. Münden auf. Der Stadtbaudirektor a. D. berichtete aus seiner 40-jährigen Amtszeit und darüber, dass es in der Stadt private Fachwerk-Aktivisten gebe, die in enger Zusammenarbeit mit dem Bauamt und dem Denkmalpfleger Burkhard Klapp individuelle Lösungen gefunden habe. „Jede Sanierungsmaßnahme stärkt die Stadt und ihre Bürger“, sagte er und riet, regelmäßig Sanierungsprogramme auszuschöpfen.
Karin Schrader, Untere Denkmalschutzbehörde Göttingen, konnte deren Erfahrungen bei der Bestandserhebung und Bürgerbeteiligung weitergeben. Die Einbindung der Behörden sei wichtig, ein Stadtplaner müsse die Fäden in der Hand halten.
Wolfhagen wartet jetzt auf Vorschläge aus der Bürgerschaft, auf umsetzbare Ideen, die dann auf Förderfähigkeit überprüft werden, damit noch mehr Bürger und Städte von den Forschungsergebnissen profitieren können.