6. September 2012_Fulda. Dieter Ehret ist ein außergewöhnlicher Mann. Bei ihm vereinen sich fotografisches Gedächtnis und dreidimensionales Vorstellungsvermögen, beides zusammen macht ihn zu einem genialen Konstrukteur: Ehret baut Miniatur-Fachwerkhäuser, wie sie seit Jahrhunderten im Zimmererhandwerk gebaut wurden. Für den Nachbau der Schweidnitzer Friedenskirche hat er in drei Jahren über 10.000 Teile angefertigt und zusammengefügt. Beim Original musste das im Jahr 1656 schneller gehen. Innerhalb eines Jahres sollte die Kirche fertig sein, weil zu den Beschlüssen des Westfälischen Friedens von 1648 gehörte, dass protestantische Schlesier ihre drei Friedenskirchen nur bauen durften, wenn diese innerhalb der Frist fertig würden, dabei ausschließlich aus Holz, Lehm und Stroh bestünden, die Türme keine Glocken hätten und die Kirchen außerhalb der Stadtmauer stünden. Das Ehret-Modell im Maßstab 1 : 30 hat all diese Auflagen erfüllt, ist dreiteilig, vier Meter lang, zwei Meter breit und mannshoch. Dieses XXL-Modell steht seit Anfang September mit 45 weiteren Fachwerkmodellen als Dauerleihgabe im Handwerkermuseum der Propstei Johannesberg.
„Die Ausstellung zeigt das Fachwerk als Baugefüge, nicht als Schmuck“, betonte Prof. Manfred Gerner, der den in Hemsbach an der Bergstraße lebenden Dieter Ehret neben einem fotografischen Gedächtnis auch einen Röntgenblick für Fachwerkkonstruktionen zuschreibt. „Er kann sich vom Anblick des Hauses das innere Gefüge herleiten“, so Prof. Gerner, der selbst erlebt habe, wie Ehret nach dem Betrachten einer Fachwerkfassade erklärte, wie das Haus konstruiert wurde. „Er kennt alle Konstruktionen, weiß, wo Säulen, Unterzüge und Hängewerke die Lasten im Inneren abfangen und auf welche Bauteile weiterleiten müssen“, so Gerner. Aus diesen Rückschlüssen fertige Ehret Zeichnungen an, wie es ein Architekt es tut, dann rekonstruiere er das Haus im Modell 1 : 10 oder 25 und baue es innerhalb von sechs Monaten so, wie er der Zimmermeister das Original baute. „Das ist genial“, lobt der Professor, schließlich ist Ehret weder Architekt noch Zimmermeister, er arbeitet als Archivar in seiner Heimatstadt. „Ich habe 900 Fachbücher und 290 Aktenordnern mit Informationen über Fachwerk“, erzählte der Miniaturmeister. „40.000 Fotos und 750 Zeichnungen habe ich gemacht“, sagte er.
Auf Prof. Gerner traf der besondere Modellbauer im Jahr 1990. Als sich ihre Wege kreuzten, nahm Ehrets Modellbauleidenschaft erst richtig an Fahrt auf, denn dieser gab ihm viele Fachwerkinformationen, gab ihm Impulse und machte ihn auf besondere Bauwerke aufmerksam. „Mit elf habe ich aus Streichhölzern Häuser gebaut“, erzählte er, und dass er mit dem angelesenen Fachwissen in den letzten 25 Jahren etwa 100 Fachwerkmodelle gebaut habe. „Die Konstruktionshölzer sind aus Weichholz, Kantenlänge ein Zentimeter“, so Ehret. Einige Modelle tragen verzierte Balkenköpfe oder Sonnenräder. So, wie es im Original noch zu sehen ist, oder einmal zu sehen war. „Viele Originale gibt es längst nicht mehr“, erzählt Ehret und dass er mit seiner Arbeit für die Erhaltung und gegen den Abriss ankämpfen möchte, für dieses Engagement bekam er bereits den Hessischen Denkmalschutzpreis.
Und das zurecht, schließlich zeigen seine Häuser jeden Winkel, jede Holzverbindung und jeden Holznagel im Detail. Dem Betrachter öffnen sich die Bauten aus dem 14. bis 19. Jahrhundert in den Momenten, als sie die Zimmermeister beim Richtfest präsentierten. Es sind stabile, geordnete, riesige Stapel aus Holz. Und obwohl die Miniaturen viel kleiner als ihre Originale sind, war deren Translozierung nach Fulda eine wichtige und richtige Entscheidung des „Zimmermeisters der Miniaturen“, der sie dort in guten Händen weiß.