26./27. August 2014_Quedlinburg. Historie ist in dieser Stadt allgegenwärtig. Mit Kopfsteinpflaster ausgelegte enge Gassen und Straßen führen zu kleinen Plätzen, die umgeben sind von denkmalgeschützten Fachwerkhäusern. Farbige Fassaden überstrahlen an einem sonnigen Tag sogar das tiefe Blau des Himmels. Verputzte oder kunstvoll ausgemauerte Gefache füllen Fachwerkkonstruktionen aus, die in acht Jahrhunderten entstanden sind. Unter dem Balkenkopf mit dem Diamantschnitt, einem Markenzeichen dieser Fachwerkstadt im Harz, hängen üppig bepflanzte Blumenkästen, stehen Bänke vor den Häusern, sind Gäste zum Verweilen eingeladen. Auffällig ist die Vielzahl der Pentagramme, die als Zeichen „zum Schutz gegen alles Böse in Gestalt zerstörerischer Kräfte der Inner- und Außenwelt“ an den Häusern angebracht wurden und in ihrer Bedeutung heute ganz aktuell sind. Das Schloss auf der einen und der Münzenberg mit 65 historischen Fachwerkhäusern auf der anderen Seite, thronen über der Stadt, die 1994 zu Recht das schützende Gütesiegel einer UNESCO-Welterbestadt bekam und ihre Historie damit zur Marke gemacht hat. (Fotos aus Quedlinburg finden Sie in der Galerie der Fachwerkagentur)
Es ist genau der richtige Platz für den 22. Kongress Städtebaulicher Denkmalschutz, der Ende August bereits zum 18. Mal in Quedlinburg abgehalten wurde. Im Fokus der zweitägigen Veranstaltung im Palais Salfeld, eröffnet durch die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BUMB), standen Kommunikation, Partnerschaften und Bündnisse im Städtebaulichen Denkmalschutz. Grußworte richteten der Oberbürgermeister Dr. Eberhard Brecht und Thomas Webel, Minister für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt, an die über 400 Teilnehmer aus ganz Deutschland. Hathumar Drost, Bundestransferstelle Städtebaulicher Denkmalschutz, moderierte den Fach-Kongress, der am zweiten Tag in fünf Arbeitsgruppen mit verschiedenen Themenschwerpunkten aufgeteilt wurde.
Impulsvorträge zur „Vermittlung von Leitbildern, Werten, Planungen und Projekten“, zur „Mobilisierung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft“, zum „Tag der Städtebauförderung“, zur „Bürgerbeteiligung als aktive Mitsprache“ sowie „Werbung und Marketing für die historische Stadt“, standen zur Wahl. In den Arbeitsgruppen Bürgerbeteiligung sowie Werbung und Marketing war die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. (ADF) durch ihre Geschäftsführerin Diana Joneitis als Referentin vertreten. Auf Einladung der Kongressleitung stellte sie das Marketing der Deutschen Fachwerkstraße (DFS) „Imagefaktor Fachwerk“ vor. „Dieser Kongress hat eine lange Tradition und zieht deutschlandweit wichtige Akteure der Stadtplanung und -gestaltung an“, sagte Diana Joneitis. Diese wichtige Plattform, aktuelle Themen der städtebaulichen Denkmalpflege aufzuzeigen und zu diskutieren, nutzte sie, um die qualitativ hochwertigen „Produkteigenschaften“ deutscher Fachwerkstädte hervorzuheben. Neben den komplexen Fragestellungen zu deren Erhaltung, Sanierung und Vermarktung, stellten diese für die Mitgliedsstädte der ADF und DFS vor allem einen Standortvorteil dar, den es zu stärken und auszubauen gelte, so die Geschäftsführerin.
„Man muss ein positives Image nicht nur nach außen, sondern auch nach innen kommunizieren“, sagte Diana Joneitis. Gerade die Stadtbevölkerung nehme den Schatz vor der eigenen Haustür manchmal nur ungenügend wahr, darum sollten Städte ihren Bewohnern die Standortvorteile, zu denen vor allem das Fachwerk gehöre, verdeutlichen. Das so entstandene Image einer Stadt müsse von allen gelebt werden, erst dann könne es erfolgreich nach außen getragen werden. Und genau dabei unterstützen die ADF und DFS ihre Mitgliedsstädte, so Joneitis in der Stadt, die auch einmal Mitglied dieser starken Fachwerklobby war. „Wir lassen in unseren Bemühungen, die Bedeutung und das positive Image der Fachwerkstädte zu vermitteln, nicht nach“, erklärte Diana Joneitis.
„Die ADF hat Aufgaben, die weit über das Thema Tourismus hinausgehen und auch konkrete Hilfen für Denkmaleigentümer bei schwierigen und aktuellen Fragen wie Brandschutz oder Dämmung anbieten“, sagte Dr. Markus Hanzenetter, Landeskonservator in Westfalen, der diese Arbeitsgruppe moderierte. Die DFS, gemeinsam mit zeitgemäßen Erschließungen, wie einer Fachwerk-App, sei nach wie vor dazu geeignet, den „Zufallstouristen“ abzuholen, der zwar nicht gezielt wegen „Fachwerk“ in eine bestimmte Stadt reise, dort aber mit dem Thema konfrontiert und auch neugierig würde.
Daher war es auch von großer Bedeutung, dass neben der Geschäftsstelle zwei Referenten aus Mitgliedsstädten der ADF eingeladen waren, ihre Projekte zu präsentieren. Wolfgang Conrad von der Projektentwicklungsgesellschaft Eschwege mbH überzeugte mit dem Slogan „Eschwege überrascht“ das Publikum. Neben der Innenstad-, Karree-Entwicklung und der Hertie-Revitalisierung ist es das neueste Marketingkonzept für Eschwege. Dass man in einem Mittelzentrum viel bewegen kann und es wichtig ist, die Stadt als Marke zu entwickeln, ist der Standpunkt von Wolfgang Conrad, der auch die These vertritt, dass „die Stadt diese Prozesse politisch steuern muss.“ Die Imagebildung ist in Eschwege als Einkaufs- und Fachwerkstadt in Kombination gelungen, weil gute Projekte durch Bürgerbeteiligung mit Leben erfüllt wurden.
Große Anerkennung erntete auch die Stadt Wanfried, deren Bürgermeister Wilhelm Gebhard persönlich die erfolgreiche Arbeit der Bürgergruppe für den Erhalt Wanfrieder Häuser vorstellte. „Die Bürger und die neuen Fachwerkhausbewohner leben das positive Image Fachwerk“, sagte Diana Joneitis dazu. Erhalt von und Werbung für Fachwerk erfolgten Hand in Hand, auch in Zusammenarbeit mit der ADF und DFS. Das sei auf dem Kongress erneut deutlich geworden.„Ich habe das Gefühl, dass unsere unkonventionelle Art, die Dinge anzugehen, auf die Zuhörer befreiend wirkt, weil wir praktisch und realitätsnah handeln und Stadtverwaltung und Bürger dabei an einem Strang ziehen“, sagte Gebhard nach einer regen Diskussionsrunde. Gebhard sieht die Kongressteilnahme zudem als eine gute Werbe-Plattform und die Einladung dazu als große Ehre an. „Das macht uns bundesweit erneut bekannter“, so der Wanfrieder Bürgermeister.
Moderatorin der Arbeitsgruppe „Bürgerbeteiligung als aktive Mitsprache“ war die Expertin für Städtebaulichen Denkmalschutz, Professorin Ingrid Burgstaller, von der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Siemon Ohm. „Es sind die Menschen, die ein Projekt erfolgreich machen“, sagte sie am Ende des Wanfrieder Vortrags. Bürgerengagement sei dann erfolgreich, wenn eine gemeinsame innere Leidenschaft als Motor vorhanden sei und diese nicht partikular sondern breit gesellschaftlich wirke. Wenn die Bürger nicht gemeinsam aktiv seien und gemeinsam Verantwortung tragen wollten, dann hätten es „von oben“ initiierte Projekte schwer, so die kompetente Moderatorin, Architektin und Stadtplanerin.
Am Veranstaltungsort wurden die Herausforderungen aber nicht nur diskutiert, sondern in Stadtrundgängen direkt vor Augen geführt. Es geht vorbei an den vielen restaurierten Fachwerkhäusern und dem ältesten noch im Original erhaltenen Ständerbau Deutschlands, der zu 65 Prozent im Fachwerkgerüst noch im Urzustand ist. Um 1310 wurde das Haus gebaut, war bis 1965 bewohnt und beherbergt heute das Fachwerkmuseum. Dieser Bau kann noch weitere Jahrhunderte überdauern. Dennoch, „von 3562 Gebäuden sind 411 in ihrem weiteren Bestand gefährdet“, steht in einem Handout mit dem Titel „Wenn Häuser schreien könnten“, einem Hilferuf in gedruckter Form, der in vielen Bildern die Schattenseite der Stadt deutlich aufzeigt und in konkreten Zahlen belegt, wie es um einzelne Denkmale bestellt ist. Von den 411 Gebäuden sind fast 300 Stadtbildprägend, nicht auszudenken, wenn die nicht mehr da wären, sagte ein Mitarbeiter von der BauBeCon Sanierungsträger GmbH, der den Stadtrundgang anführte. An von der Stadt gesicherten Altbauten hängen Banner mit Aufschriften wie „Zu verkaufen“, „Wir bauen auf Ideen“ oder „Fachwerk sucht Liebhaber“, die Hinweise darauf, dass diese Baumaßnahme durch Bund, Land und Stadt gefördert wird, gleich darüber. Doch die Kassen sind heute nicht mehr prall gefüllt, wie noch in den 1990er Jahren.
Die Stadt kooperiert mit „mutigen“ Privat-Investoren, versucht für diese Fördertöpfe auf zu tun. Denkmale fanden so vor einigen Jahren ihre Liebhaber, aber bis heute sind die versprochenen Fördergelder nicht da, viele Bauwillige sind des Wartens müde, haben wieder verkauft oder resigniert. Die Stadt Quedlinburg unternimmt Sicherungsmaßnahmen, hat ein Auge auf Dächer und Fassaden, will Schäden eindämmen.
Quedlinburg hat viel Erfahrung mit diesem Procedere. Die Stadt in Sachsen-Anhalt ist eines der größten Flächendenkmale Deutschlands, seit 20 Jahren UNESCO-Welterbestadt, seit dem wird gebaut, erhalten und zu schützten versucht. Eine Aufgabe, die so alt ist, wie die Stadt und auch heute noch das Stadtbild prägt. (dw)