11. Januar 2014_Hann. Münden. An der Ecke zur Speckstraße, gegenüber der alten Werrabrücke, steht eine Schaufensterpuppe. Sie trägt einen gelben Bauhelm, ein kariertes Hemd und eine Latzhose. Für jeden klar, dass sie einen Bauarbeiter symbolisiert. Um den Hals trägt der ein Schild mit der Aufschrift „Hausbesichtigung“, ein Pfeil zeigt in Richtung Speckstraße 7.
Dort arbeiteten vor fast genau drei Monaten etwa 150 Freiwillige neun Tage und Nächte am Projekt „9mal24“. Diese außergewöhnliche Fachwerk-Performance des Denkmalkunstfestivals wurde bundesweit beworben und zog die Medien aus allen Teilen Deutschlands an. Die Besucherzahlen der vierten Denkmalkunst in Hann. Münden stiegen an, was sicher auch diesem Kunstprojekt geschuldet war, bei dem ein historisches Fachwerkhaus saniert wurde. Das Gebäude gehört der Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt, die derzeit etwa 220 Mitglieder hat und die Immobilie nach der Sanierung an den Verein Mündener Kunstnetz vermieten wird. Ateliers, eine Künstlerwohnung und zwei weitere Mieteinheiten werden in den zwei Gebäudekomplex Einzug halten. Ein Teil davon war einst ein Lohgerberhaus aus dem 16. Jahrhundert, das nach einem Brand im Jahr 2004 zehn Jahre lang leer stand, wurde damit gerettet und wird nun wiederbelebt.
Und genau das ist die Idee der Denkmalkunst, die Bernd Demandt im Jahr 2007 erstmals auf die Beine stellte. Alle zwei Jahre gibt es seit dem Kunst und Künstler in den Denkmälern der Dreiflüsse-Stadt. Musiker, Maler, Schauspieler oder Bildhauer füllen die leerstehenden Häuser aus dem 16. Bis 18. Jahrhundert mit Licht und Farbe, ihre Instrumente sind auch verschiedene Materialien, Bilder und Klänge.
„Wir wollen damit auf die Denkmale aufmerksam machen“, so Bernd Demandt, während er auf der Baustelle in der Speckstraße gerade beim Innenausbau des Dachgeschosses mithilft, während sich in der zweiten Etage des Vorderhauses gerade potentielle Mieter die Räume ansehen und überlegen, wo das Wohn- und wo das Schlafzimmer eingerichtet werden könnte.
Vor etwa einem Jahr hatte der Denkmalaktivist Demandt die Idee, Bürgergenossenschaft, Altbausanierung und Kunstprojekt in dieser Art zu kombinieren. Selbst schon erfolgreich mit der Sanierung von eigenen historischen Häusern, wurde sein Projekt „9mal24“ von zahlreichen Bauunternehmern der Region, Privatpersonen und Einzelhändlern unterstützt. Das Spendenvolumen durch Handwerker- und Materialleistungen beziffert der Vorsitzende der Bürgergenossenschaft auf etwa 300.000 Euro. Zwar habe man das Ziel nicht erreicht, das gesamte Haus in diesen neun Tage komplett sanieren zu können, aber auch nach „9mal24“ kommen immer noch täglich Freiwillige an die Baustelle, die das Haus fertig stellen wollen. Der milde Winter kam den Bauarbeitern dabei entgegen. Heute sind etwa 360 Quadratmeter Wohnfläche beinahe komplett mit Innendämmung aus einer Mischung aus Kork und Lehm versehen, die Fenster sind eingebaut, die Decken und Fußböden sind im Unterbau fertig, Elektro- und Wasserinstallation sind drin. „Ende September stand hier ein Fachwerkgerüst, zwei Dächer mussten gerichtet und eingedeckt werden“, sagt Architektin Sabine Momm, die es für realistisch hält, dass das Haus in diesem Jahr bezogen werden kann. Das wäre eine außergewöhnliche Leistung.
Das Interesse an dem Bauvorhaben ist noch immer groß. Fernsehteams von NDR, RTL oder SAT drehten während der Denkmalkunst und sind auch jetzt am Fortgang der Arbeiten interessiert. Und Dank der Unterstützung des Fördervereins Mündener Altstadt, die immer wieder Aktionen starten, um Spenden einzusammeln und neue Mitglieder zu werben, bleiben Baustelle und Genossenschaft auch in Münden im Gespräch. Sie stellten die Schaufensterpuppe auf, um auch bei dieser Aktion, dem Tag der offenen Tür, wieder mitzuhelfen. Mit Erfolg: über 650 Besucher kamen in das Haus Speckstraße 7, dort verkauften die freiwilligen Helfer Kaffee und Kuchen oder die Suppe, die vom Ratskeller für diese Tage spendiert wurde. Und genauso wie es bereits bei „9mal24“ war, kommen genau die Helferinnen und Helfer wieder vorbei, die bereits im Oktober mit dabei waren. Sie tragen Kuchenbleche ins Haus, Thermoskannen voller Kaffee oder Tee, sie bringen sauberes Geschirr, nehmen das schmutzige mit. Jeder kennt seine Rolle wie im Schlaf, jeder macht einfach so weiter, wie es für neun Tage und Nächte geplant war. Irgendwie scheinen sie nicht aufhören zu wollen. Das zeigen auch die Protokolle der Bauarbeiten, die von Heinz Köwing geschrieben und an alle Mitglieder verschickt werden. Allein in der Woche vom 7. bis 12. Januar waren täglich etwa 20 Freiwillige an der Baustelle.
„Die Stimmung hier ist sehr gut“, bestätigt die Dame hinter der Kuchentheke. Gäste und Helfer kennen sich so gut, dass sie wie eine große Familie daherkommen. Und auch Bürgermeister Klaus Burhenne schaute am Tag der offenen Tür einmal vorbei, stattete den Mitwirkenden einen privaten Besuch ab und freue sich über so viel Engagement der Mündener Bürger, wie der sagte.
Immer noch hängen viele Werbebanner am Gerüst der Gibelseite des Hauses. Sie zeugen davon, dass auch das Gewerbe ein Interesse an der Erhaltung der Bausubstanz hat. Und auch das Interesse der Bürger an den Baufortschritten ist noch immer da. „Ich bin gespannt, wie das Haus aussieht, wenn er fertig ist“, sagte ein Besucher. Er könne es sogar „kaum noch erwarten“, und habe sich hier viele Tipps zur Sanierung des eigenen Hauses geholt, so der pensionierte Beamte. Ein Zeichen dafür, dass dieses Haus auch nach Beendigung der Arbeiten die Menschen weiterhin anziehen wird. Als Künstlerhaus, Musterhaus oder einfach das Haus, das als Lohgerberherberge seit Jahrhunderten an dieser Stelle in der Stadt steht, das schon vielen Menschen ein Dach über dem Kopf bot und vielen Lebensgeschichten einen Ort, von dem aus sie weitergegeben werden können.
Kommentar:
Die Schaufensterpuppe an der Ecke zur Speckstraße wird wohl noch öfter dort stehen und Besucher in das Haus locken, das in wenigen Monaten mit vielen Freiwilligen zu einem Musterbeispiel an Bürgerengagement geworden ist.
Die Bürgergenossenschaft hat das Ziel, Eigentum an ihrer Stadt zu erwerben. Dass dabei die Kosten im Auge behalten und bei der Sanierung auch unkonventionelle Wege gegangen werden, unterscheidet sich von den üblichen Wohnungsbaugenossenschaften. Aber genau das macht die Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt aus. Die Kosten werden auf viele Schultern verteilt. Dennoch, bei einem Genossenschaftsanteil von 100 Euro ist es nicht leicht, ein solches Bauvorhaben zu verwirklichen. Jetzt gilt es, weitere Mitglieder zu werben, die nicht auf große Rendite in Form von Zinsen als geldwertem Gewinn aus sind, sondern auf den Gewinn, den der Mensch erzielen kann, wenn er sich an sinnvollen Projekten beteiligt, wo Zinsen in Form von Gemeinsinn ausgeschüttet werden und das Ergebnis keine Zahlen, sondern ein gutes Gefühl und Sinnhaftigkeit sind.