22. Januar 2014_Wanfried. Die Stadt an der Grenze zu Thüringen feiert in diesem Jahr ihr stilles Wahrzeichen: den Plesseturm. Zwischen Keudelskuppe und Kohnstein erhebt er sich auf der Plesse, dem Berg mit der im Werratal wohl auffälligsten Felswand. Einen Aussichtsturm gibt es dort bereits seit über 130 Jahren. Überliefert ist, dass 1891 ein Turm erneuert und 1961 einer wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Am 23. Mai jährt sich das Richtfest des heutigen Plesseturms zum 50. Mal. Zeit, Wind und Wetter trotzend steht er da, beinahe wie am ersten Tag. Nichts erinnert an die Männer, die diesen Turm unter Lebensgefahr aufstellten.
Dieter Schnell erinnert sich noch gut daran und weiß, wie hart die Arbeiten für die Handwerker, Freiwilligen und die Männer vom Bundesgrenzschutz (BGS) waren, die gemeinsam versuchten, diesen Holzriesen mit ihren technischen Möglichkeiten aufzustellen. „Das ganze Material musste zehn Kilometer über die schlechten Waldwege transportiert werden“, erzählt der ehemalige Forstbeamte. Er suchte mit Zimmermeister Karl Wetzestein im Wald vier gleiche Lärchenbäume aus. „Die standen vor uns, waren über 40 Meter hoch“, erinnert er sich. Daraus wurden 21,50 Meter lange Eckständer, die später an U-Schienen im Betonfundament aus 100 Kubikmetern Beton verankert wurden.
Wetzestein führte den Auftrag für die Firma seines Vaters aus. Planung, Zeichnung und Statik wurden vom Wanfrieder Architekten Albin Gatzemeier gemacht, Maurermeister Willi Thomas war für das Fundament zuständig. Die vier Seitenteile wurden im Herbst 1963 in der Zimmerei in der Wallstraße abgebunden und Ende November auf einem Langholzwagen der Firma Ruhlandt zum Plateau transportiert. „Das ging nur bei hart gefrorenem Boden“, sagt Dieter Schnell. Oben auf dem Berg war es eisig. Den Männern froren die Hände an den Axt- und Hammerstielen beinahe an. Nur am Lagerfeuer habe man sich aufwärmen können, so der Zeitzeuge.
Die größte Herausforderung stellte das Hochziehen der Seitenteile dar. Die Verankerung dafür wurde in den Felsen unter dem Turm getrieben, daran wurden Umlenkrolle und Kurbel befestigt. Viele Versuche, die tonnenschweren Teile zu bewegen, misslangen. Der BGS, unter der Leitung von Erich Klemm, kam zur Hilfe. Er konnte die passenden Drahtseile besorgen, um die tonnenschweren Elemente hochzuziehen. „Zu viert drehten wir an der Kurbel, das Drahtseil spannte sich, ein paar Meter hatten wir schon aufgedreht, aber es bewegte sich nicht“, erzählte Karl Wetzestein am 40. Jahrestag der Einweihung am Turm im Mai 2004. Als das Seitenteil plötzlich nach oben schoss, hielten alle den Atem an. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das Drahtseil gerissenwäre, sagte Wetzestein damals.
Am 18. Dezember 1963 war es geschafft, der Turm gerichtet. Bei Eis und Schnee gingen die Männer körperlich an ihre Grenzen und oftmals darüber hinaus. Das Holz war vereist und glatt, das Montieren der Streben und Riegel ein Abenteuer. „Es waren viele freiwillige Helfer dabei, obwohl das so gefährlich war“, sagt Dieter Schnell, der diesen Gemeinsinn bis heute als besonders empfindet.
Bis heute ist der Plesseturm das beliebteste Ausflugsziel der Wanfrieder und vieler Gäste. Zu erwandern über den Premiumwanderweg P5, vorbei am Wasserfall, unter einem Blätterdach sattgrüner Laubwälder, als Teil des Grünen Bandes entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze oder vom Grillplatz aus am Felsen steil bergauf. Dann taucht er plötzlich auf. Imposant erheben sich konisch sechs Etagen, die von den vier Lärchenstämmen gehalten werden. Wer oben auf der Aussichtsplattform angekommen ist, der steht 500 Meter ü. NN. und kann eine Gedenktafel entdecken, angebracht zur Erinnerung an Zimmermeister Wetzestein. Aber auch stellvertretend für alle, die in den eisigen Wintertagen 1963/64 den Plesseturm errichtet haben, von dem aus der Blick über Werratal und Südeichsfeld geht und dabei immer auch Grenzen überwindet.
Es war eine waghalsige Aktion, die in diese Zeit passte. Und nicht wiederholt werden kann.